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non finito - der Raum |
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Ulrich Bardelé Eva Borsdorf Jörg Umrath Karin Danner Elke Hammelstein Margareta Hesse Silvia Hörner Sabine Laidig Susanne Maute Silke Panknin Michael Peters Sigrid Perthen Ali Schüler Renate Scherg Cornelius Wittke |
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Ausstellungseröffnung Freitag, 09. Mai 2003 19:00 Uhr Begrüßung: Carola Dewor, Vorsitzende des Shedhalle Tübingen e.V. Brigitte Russ-Scherer, Oberbürgermeisterin der Universitätsstadt Tübingen Einführung: Jessica Beebone, Baden-Baden Musik: Thomas Horstmann, Gitarre, Improvisationen << Bilder >> |
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RAHMENVERANSTALTUNGEN Programm>> |
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Non-finito charakterisiert in der Bildenden Kunst ein äußerlich unvollendetes Werk - vornehmlich der Plastik. Ein Werk, das unbearbeitet Partien hat und mehr Material als für die Darstellung notwendig gewesen wäre. Ursprünglich war das Non-finito - wie auch der ihm verwandte Torso - weder künstlerisches Prinzip noch autonome Kunstform. Das Bewusstsein für die künstlerische Ausdrucksqualität des Fragmentarischen entstand mit der Renaissance im Zuge verschiedener geistesgeschichtlicher Entwicklungen. Im Mittelpunkt steht die Herausbildung des Geniebegriffs und eines neuen künstlerischen Selbstverständnisses, das sich nicht mehr an äußeren Normen orientiert, sondern das in der Subjektivität des Künstlers, in seiner geistigen Eigenständigkeit begründet liegt. Äußeres Zeichen dafür ist, dass man begann, Zeichnungen, Skizzen oder erste, häufig unvollständige plastische Entwürfe - sog. Bozzetti - zu schätzen und zu sammeln. Wegbereiter für die Anerkennung des Infinito zur vollgültigen ästhetischen Form war Michelangelo, der seine Skulpturen möglicherweise bereits wegen einer gewollten Idealisierung des Unvollendeten nicht fertig stellte. Das Non-finito wurde jedoch erst drei1/2 Jahrhunderte später mit dem Werk von Auguste Rodin zur autonomen Kunstform. Die Betonung der Formqualität vor der Inhaltsqualität und der Einsatz des Non-finito als spontaner Ausdruck des Genies und als Kunstmittel boten die Grundlage für die moderne Ästhetik. Beispiele hierfür sind Rodins Skulpturen: „Der Schreitende“, „Psyche“ und „Der Gedanke“. Nachfolgende Bildhauergenerationen von Wilhelm Lehmbruck über Giacometti bis Pistoletto oder Franz Erhard Walther entwickelten das Thema auf Grundlage sich verändernder Bewusstseins- und Wahrnehmungsformen bis heute weiter. Das „Non-finito“ im Titel dieser Ausstellung widmet sich allerdings nicht der thematischen Darstellung des Unvollendeten, sondern es spielt auf die architektonische Situation der Shedhalle an und auf die Tatsache, dass nun mit dieser Ausstellung der Anfang gemacht ist für nachfolgende Veranstaltungen und ein Programm, das nicht in einer bereits festgelegten Form gefangen ist. Das Profil mag umrissen sein, doch die Binnenstruktur wird sich - vergleichbar den Figuren Rodins - erst mit der Zeit unter den „Händen“ der verantwortlichen ProgrammgestalterInnen und im Austausch mit der Öffentlichkeit aus dem sozusagen „Marmorblock des real Machbaren“ herauskristallisieren. Insofern hat sich das Haus mit seiner Architektur und allen Mitwirkenden im Ausstellungsauftakt selbst zum Thema gemacht. „Non-finito“ machte den eingeladenen Künstlerinnen und Künstlern keine verbindliche Vorgabe, sondern war ein freier Bezugspunkt, der zur Auseinandersetzung mit der besonderen, individuellen Raum- und Ausstellungssituation der Shedhalle anregen wollte. Demnach haben die externen Jurymitglieder Gerd Dieterich (Stuttgart), Dr. Adolf Smitmans (Rottenburg) und ich (Jessica Beebone, Baden-Baden), die vorgelegten Arbeiten unter mehreren, verschiedenen Vorzeichen ausgewählt. Ein wichtiges Kriterium unserer Entscheidungsfindung war der Gedanke an die Präsentation und der Wunsch, dass die einzelnen Arbeiten miteinander in Beziehung treten können. Wir haben versucht Werke zu wählen, die ein komplexes Zusammenspiel ermöglichen. Arbeiten mit extrovertiertem und dominantem Charakter brauchen Partnerinnen und Partner, die keine Berührungsprobleme haben oder flexibel genug sind einen angemessenen Abstand herzustellen. Die Flüstertöne der leisen und zarten Werke sind auch über Distanzen vernehmbar, wenn man sie nicht einengt und nicht den Blick für Korrespondenzen verstellt. Was wir bei der „Ausstellungsregie“ beabsichtigten, war jedoch nicht mehr als der Entwurf einer Skizze, die dem Charakter des Non-finito entsprechen und den TeilnehmerInnen genügend Freiraum lassen sollte: Leichtigkeit, Transparenz und Weite einerseits, konkrete Verortung und Bindung an den Raum andererseits. Im Hinblick auf die ausgewählten Werke, heißt das: sie zeigen das Prozeßhafte, zum Teil Improvisierte und Frische, aber auch die Verortung im Leben. Renate Scherg, Margareta Hesse und Elke Hammelstein bringen in ihren Arbeiten einen Aspekt zur Anschauung, den das lichtdurchflutete, klar strukturierte und weitläufige Gebäudes nach seiner Renovierung leicht übersehen oder vergessen lässt - und das ist die ehemalige Nutzung der Shedhalle als Sammelstelle für Schlachtvieh. An den Futtertrögen findet man heute noch Wetzspuren, die vermutlich von den dort angebundenen Kühen stammen. Die rot-schwarze Raumzeichnung von Renate Scherg (*1953), stellt einen Brückenschlag her zwischen der früheren Nutzung der Halle und ihrer heutigen Funktion. Das Liniengerüst nimmt zum einen das Motiv des Gitters oder Gatters auf, suggeriert Einsperrung und Fixierung. Zum anderen öffnet die Geometrie die Fläche. Sie setzt ein abstraktes Zeichen für Befreiung und Entfaltung, projiziert einen imaginären Raum auf die Wandfläche der Shedhalle. Die plastischen und farbigen Hufabdrücke, die Elke Hammelstein (*1964) im Raum verteilt hat, sowie die „3.000 Fliegen“, die Margareta Hesse (*1956) unter den Polyesterplatten in den Tränkerinnen deutlich hörbar gefangen hält sprechen auf die Metaphorik des Todes an. Sie verwirren nicht nur, indem sie das Gefühl musealer Ruhe stören und den Besuchern „Stoplersteine“ in den Weg legen, sondern beunruhigen, weil sie auf Erinnerung insistieren. Sie machen deutlich, dass das Non-finito neben dem Versprechen auf Vollkommenheit immer auch ein jederzeit mögliches definitives (Lebens)Ende in Erwartung stellt. Die doppelgesichtige Schönheit des Morbiden findet in den Serienbilder in Mischtechnik von Ali Schüler (*1961) eine Erweiterung. Was immer die Bildgeschichten erzählen mögen. Sie scheinen von der Melancholie der Einsamkeit getragen, von Sehnsucht, Traum, von Werden und Vergehen. Bisher entstanden 13 Arbeiten, „ein Ende ist“, wie der Künstler selbst sagt, „nicht abzusehen“. Dies trifft auch auf die experimentellen kleinformatigen Arbeiten von Ulrich Bardele (*1970) zu, die seit Ende 2002 entstanden sind und einen Ausschnitt aus einer offenen Serie darstellen. Die mit Wachs und Ölfarbe auf Karton gemalten Bilder geben sich zurückhaltend in ihrer reduzierten Formensprache und ihrer Materialität. Sie erfordern ein Nähertreten und den intimen, langsamen Blick der Nahsicht. Beim Lesen der Blätter wird hinter der diffusen Transparenz der Oberfläche ihre räumliche Dimension sichtbar. Ulrich Bardele, Ali Schuler und Margareta Hesse - so unterschiedlich, ja diametral entgegengesetzt ihre Bildvorstellung ist. Alle drei KünstlerInnen arbeiten in Werkserien und verwenden opake Materialien wie Wachs, oder lackierte Kunststoffplatten, die das Sichtbare ganz oder teilweise verunklären. Sie lassen mehr ahnen als wissen was sich hinter den Bildoberflächen verbirgt und üben so eine visuelle Anziehungskraft aus, die lange nicht abbrechen will. „Nicht-vollendet“ kann auch heißen: niemals anzukommen. „Das Leben als kontinuierlicher Weg und das Unterwegssein als Bereicherung des eigenen Bewußtseins.“ Eine Haltung, die das künstlerische Credo von Michael Peters (*1960) beschreibt, so Dagmar Waizenegger in einer Eröffnungsrede zu einer Ausstellung des Künstlers. Seine großformatige Fotoarbeit zeigt Eukalyptusfrüchte, die Peters von einer Pilgerreise nach Santiago di Compostella mitgebracht hat. Reliquien aus der Schatzkammer der Natur, die ihre magische Kraft in der Konzentration des Blicks auf das Einfache und auf das Einzigartige entfalten und die Möglichkeit zur meditativen Einkehr auf der fotografischen Oberfläche bieten. Auf das Hier und Jetzt nimmt auch das Gemeinschaftsprojekt von Eva Borsdorf (*1966) und Jörg Umrath (*1960) Bezug. Ihr Raum ist allerdings kein spiritueller, sondern die reale Shedhalle, die in der hier gezeigten Installation zur Freifläche für eine dreidimensionale Raumskizze wird. Architektonische Körper aus Polyethylenfolien zusammengenäht schweben im Raum. Gehalten und miteinander zu temporären Raumteilern verspannt durch Nylonschnüre. Die Einbeziehung vorhandener Bauteile, einer Dachleiter und Neonröhre, bringt erzählerische Momente ein, die aus dem Arbeitsprozess heraus entstanden sind und die der Raum vorgegeben hat. Im Zentrum dieser nahezu körperlosen Skulptur steht das Raumerleben des Betrachters. Öffnungen und Schächte geben Durchblicke frei. Sie machen neugierig, schicken uns auf Entdeckungstour, indem sie animieren, die Installation zu umschreiten oder zu begehen. Gegen die luftige und skizzenhaft angelegte Installation von Borsdorf und Umrath setzen die Skulpturen von Susanne Maute (*1960) einen Kontrapunkt. Die Körperlichkeit von der Decke hängender schwarzer „Gummischläuche“ kann Assoziationen an Tierhäute oder -leiber wachrufen. Tatsächlich handelt es sich aber um aneinandergereihte Auto,bzw. Gummireifen, deren geometrische Grundstruktur im herabhängenden Zustand verformt und verfremdet wird. Frei nach dem Prinzip: Nichts ist was es scheint sobald sich der Standpunkt der Betrachtung verändert, bekommen alltäglichste Dinge ein anderes Gesicht, sobald die Perspektive wechselt. Sabine Laidig (*1960) hat in ihrer Arbeit das niemals Endenwollende oder Unvollendete zum Kunst- und Stilprinzip erklärt. Der Mäander ist nicht nur programmatisches Thema, das immer wieder nach einem festgelegten rhythmischen Schema dekonstruiert, wieder zusammengesetzt und damit neu interpretiert wird, sondern auch eine Metapher für den ewigen, sich selbst erneuernden Weg. Arbeiten in situ und der Bezug auf die jeweilige Ausstellungssituation haben im Gesamtwerk der Künstlerin einen hohen Stellenwert, so dass Laidig eigens für die erste Ausstellung der Shedhalle eine Wandarbeit installiert hat. Die leuchtend gelben Zeichen, die schrittweise von der Verdichtung der Mäanderform zur Auflösung zur Explosion fortschreiten, bilden zum einen Akzente im Gesamtklang der Ausstellung, zum anderen stellt die großzügige Setzung bewusst zwanglose Verbindungen zu benachbarten Arbeiten her. Mit dem „Lauf der Zeit“ von Sigrid Perthen (*1951) findet die Vorstellung der endlosen Bewegung des mäandernden Flusses eine lyrische Fortsetzung. 30 rohe Holzbretter lassen sich mit einer Handbewegung nach und nach in Schwingung versetzen. Ein leichter Anstoß genügt, um eine Wellenbewegung auszulösen, die in den Raum gleitet. „Hommage an eine Baustelle“ nennt Perthen ihre 2001 entstandene Installation und bezieht sich damit in Anspielung auf die Renovierung der Shedhalle auf die Verwendung rohbelassener Materialien, wie Ziegelsteine, Holzplanken und -leisten. Aktuellen Ortsbezug suchte Karin Danner (*1967). Ihre minimalistische Installation bedient sich weniger, einfacher, und wie im Fall von Sabine Laidig, exakt kalkulierter Mittel. Die Arbeit besteht aus einem Kreis aus Zinkweiss und Alupigment, 2 Stahlstangen, die eine leiterförmige Verbindung eingehen und 3 Dialeuchtkästen mit Körperbildern. Die Arbeit nimmt behutsam Kontakt auf zur Architektur und lenkt den Blick auf die formalen Qualitäten baulicher Details. Stromkabel zeichnen Linien über die Wand, das Hellblau der Kachelfelder setzt einen dominanten, den gesamten Raum charakterisierenden Farbakzent. Karin Danner hat auf diese banalen und unkünstlerischen Elemente sensibel reagiert und sie zu ästhetischen Mitspielern erklärt. Bauelemente der Shedhalle sind zum Anlass genommen worden, um einen poetischen Assoziationsraum zu öffnen in dem sich Imagination und Wirklichkeit begegnen können. An den Schwebezustand zwischen Sichtbarkeit und Unsichtbarem schließen zwei weitere Werke von Margareta Hesse an. Ihre beiden Bilder wurden, wie bereits angesprochen aus einer Serie ausgewählt. Durch Schichtung mehrerer transparenter farbig bearbeiteter Kunststoffplatten überlagern sich geometrische Linien und Farbflächen. Die Räumlichkeit, innere Leuchtkraft und das Vibrationsvermögen der transluziden Bilder vermitteln formal und inhaltlich zwischen den Werken zweidimensionaler und dreidimensionaler Gestaltung. Auf der einen Seite bilden sie einen Übergang zu Hesses eigener Installation „3.000 Fliegen“, auf der anderen Seite hängen sie in direkter Nachbarschaft zur klassischen Malerei von Cornelius Wittke (*1954) und Silvia Hörner (*1963). Das Non-finito, die Poesie des Unfertigen und Unvollkommenen, tritt hier mit zwanglos spielerischer Geste auf. Bei Wittke bestimmt subjektive Energie die Bildgestaltung. Spontaneität steht als Ausdruck kindlicher Lebensfreude und Unbekümmertheit. Sie widersetzt sich verstandesmäßigem Vorausdenken, Analysieren und Planen. Was heute gilt, kann morgen schon vergessen sein. In der 4-tlg. Arbeit „Global Players“ von Silvia Hörner wird das Prozeßhafte betont. Der Betrachter erlebt die nicht absehbare Metamorphose einer Tierfigur, die sich aus der Malerei herauszuformen scheint, um sich im nächsten Stadium wieder in Farbe zurück zu verwandeln - gefangen im rätselhaften Kreislauf von Zeigen und Verbergen. Die Arbeit der Shedhalle ist ein work in progress. Noch nicht renovierte Bauteile stehen neben sorgfältig geglätteten Flächen. Bruchstücke von Schönheit, die sich collagenhaft präsentieren, wollen nicht Hinweis sein auf die Sehnsucht nach der idyllischen heilen Welt, auf ein noch nicht angebrochenes Paradies, das z.B. der Rokoko in einem Ruinenstil pflegte. Man baut hier nicht an einer nostalgischen Utopie, sondern hat, so könnte die Botschaft der Ausstellung lauten, eine konkrete Vision vor Augen: ein ambitioniertes Projekt, dessen Realisierung bereits begonnen hat, nämlich die Förderung zeitgenössischer Kunst, professionell und auf dem Niveau ihrer Zeit. Musik, Bildende Kunst, Fotografie, Malerei, Installation, Skulptur, Performance, Video, ... Kunst findet hier drinnen im geschlossenen, ausgewiesenen Kunstraum statt, aber sie soll - und es ist ihr zu wünschen - nach außen dringen. Die Shedhalle möchte kein Inseldasein führen, sondern sucht lebendigen Austausch und die Anbindung an die Öffentlichkeit. Den Blick weiten, über den realen Raum hinausschauen und -denken, Anregungen von außen hineinholen, an der Folge temporärer Projekte arbeiten, um aktueller Kunst ein Forum zu bieten, damit sie sich zeigen kann und sichtbar wird. Die Arbeit von Silke Panknin (*1963) fängt diesen Gedanken in einer pointierten und unprätentiös vorgetragenen Intervention ein. Für die Dauer der Ausstellung wird sich der “Himmel über Tübingen“ in der Shedhalle spiegeln. Dazu wurden 2 Milchglasscheiben des Sheddaches durch einfaches Fensterglas ersetzt. Ein Unternehmen auf Zeit, ein Ausschnitt aus dem Universum, durch die Kunst sichtbar gemacht - solange - bis sie wieder verschwunden ist. © Jessica Beebone |
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