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19.6. - 19.7. 2009 |
Ausstellung In Kooperation mit der Staatl. Akademie der bildenden Künste Stuttgart |
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Sabina Aurich |
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Eröffnung |
Freitag 19.6.09 um 19 Uhr |
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Eröffnungsrede zur Ausstellung „vielleicht so schwer“ 19. Juni 2009 von Dr. Bärbel Küster, Staatliche Akademie der bildenden Künste Stuttgart Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Künstlerinnen und Künstler, liebe Freunde der Shedhalle Tübingen, „In den Flüssen nördlich der Zukunft werf ich das Netz aus, das du zögernd beschwerst mit von Steinen geschriebenen Schatten.“ Paul Celan hat 1967 dieses von den Schatten der Steine beschwerte Netz ausgeworfen, die Zwischenräume erkundend, das Noch-nicht, und Nicht-mehr in den Verschiebungen der Raumlosigkeit. „Wirklichkeit ist nicht, Wirklichkeit will gesucht und gewonnen werden“ Schwere und Leichtigkeit sind ihm wiederkehrende Metaphern. Das namenlose Du, ein unbekanntes und zugleich vertrautes Gegenüber, wird reagieren auf das schwimmende Netz des Gedankenfischers. Die Schatten entfalten ihr Gewicht jedoch nicht als passiver Effekt einer blendenden Sonne, sondern als aktiv geschriebene, die ein noch unbekanntes ich oder du verantworten wird, irgendwo nördlich der Zukunft. „vielleicht so schwer“ „viel leicht so schwer“, schon der Titel führt uns in die paradoxen Landschaften lyrischer Wirklichkeitsvermessung. Die Arbeiten, die Sie in der Ausstellung finden, haben sich alle mit Ponderationen und Massen, mit leichten und schweren Stoffen beschäftigt und zugleich öffnet der Titel dieser Ausstellung in das weite Feld der Paradoxien, öffnet nicht nur den Werken sondern auch dem Betrachter ein spielerisches Feld von Balance und Prozess. Entstanden ist eine thematische Ausstellung mit einer Fülle von Positionen und Materialien, konträre, sich ergänzende und in einen Dialog tretende Arbeiten, die sich gegenseitig und auch den Raum kommentieren RUDI WEISS, der den Anstoß zu dieser Ausstellung gab, greift mit seinen Stein-Bildern eine Thematik auf, die er seit den 90er Jahren bearbeitet, Gestein in der Landschaft. Anders als Gustave Courbet, der im 19. Jahrhundert in der Umgebung von Ornans die Felsen und Abbrüche, die Kalksteinunterspülungen der Loue auf seine Leinwand spachtelte, ist es, als ob nun noch einmal der Blick mikroskopisch vertieft auf die Schwere Masse des Gesteins gerichtet wurde. Hier wird der Gesteinsblock porträtiert. Die atmosphärische Stimmung der umgebenden Landschaft wird überwunden und zu einem Farbklang spezifischer Dichte gebracht: Schiefer, Granit, solche Materialien lassen sich wiedererkennen, haben ihr spezifisches Gewicht und holen so die Landschaft, in der die Inspirationen für die Bilder entstanden sind, ins Bild ohne sie zu zeigen. Im Dialog mit den Arbeiten von Weiß wirken ALF SETZERs Schwarzarbeiten umso labiler. Er konfrontiert Materialien wie schwarzen Granit, Styropor, Glas, Wasser, Kieselsplitt und ermöglicht labile Begegnungen, die zugleich die Shedhalle miteinbeziehen: das Kalkwasser der Glasscheibe, verdeckt den Blick auf die schwarze Granitstele, eröffnet zugleich jedoch dadurch, dass erst im Ablauf des Fußboden das Weiß erstrahlt, den farblichen Kontrast in den Raum. Glänzend, matt, tief Schwarz, strahlend Weiß und milchig. Der Kieselsplitt, hier aufgeschüttetes Baumaterial, wird im nächsten Moment zu einer sich bis zur Decke der Halle erhebenden Kette, die aber vielleicht dort auch hängt Anstoß oder Erdung der unten wie geodätische Erdverschiebungen agierenden Glasplatten? Die Fragilität der Materialien ist in diesem Werk auch eine Arbeit mit der Masse, nicht von ungefähr ist es die dynamischste Ecke des Styroporblocks, welches das schwerste, tiefste Material zum äußersten Punkt des Gleichgewichts hinausschiebt! Wasser und Fluss aus dem Celan’schen Gedicht SABINA AURICH lotet die Architektonik verschiedener zweidimensionaler Raumscheiben gegeneinander aus, und führt Zeichnungen auf transparenten Glaswänden in eine weitere Dimension der Verräumlichung zweidimensional imaginierter Räume. Fragil lehnen die Wände aneinander, suggerieren nicht Architektur, sondern die Spezifik der architektonischen Materialien im Raum. Schatten der Steine aus dem Celan’schen Gedicht Mit ihrer Arbeit an der Aichtalbrücke führt uns VERA MEYER in eine direkte Körperliche Erfahrung von Schwere und Leichtigkeit. Je länger das Pendel, an der eine Schaukel hängt, desto größer die Spanne, der Rhythmus, in denen der Wechsel von Schwerelosigkeit und Gravität erfahren werden. 52 m lang war das Seil, als ihr Vater sie vor als Kind an der Aichtalbrücke schaukeln ließ. Es ist zugleich eine fast meditative Arbeit in der dreifachen Videosequenz, die mit menschlichen Sehnsüchten der Schwerelosigkeit spielt. Das ich und das Du aus dem Celan’schen Gedicht; ebenso wie in der nächsten Arbeit Helium, das leichteste Gas des Periodensystems trägt das Projekt von ANDREAS SCHMIDT, der als Luftballonverkäufer im vorweihnachtlichen Stuttgart schwebende Gelbe Säcke unter die Leute brachte. Leichtigkeit und Schwere sind auch eine ästhetisch-soziale Kategorie und in seinem Video sehen wir die Menschen auf der Straße sowohl lustig als auch nachdenklich auf den jungen, etwas abgerissen wirkenden Mann reagieren, der hier Müllsäcke verkaufen muss. „Das Volumen verhält sich wie ein Körper. Nie habe ich Rationalität und Sinnlichkeit, Konstruktion und Körper voneinander trennen können.“ so der niederländische Künstler HENK VISCH. In seinem Werk spielt das Sprechen, Fragen, Antworten und das Zuhören eine große Rolle, ihm wächst die Symbolik nebenbei in sein Werk und wenn hier die fragile Gestalt eine enorme „Metapher“ so der Titel der Arbeit - auf den Händen balanciert, so können wir uns fragen, wie leicht oder schwer diese eigentlich ist zumal der Bronzeguss nur wenige Millimeter dick ist. ROLF BIERs „O.T. Prinzip Schale“ von 1993, das Sie begrüßt hat, inszeniert eine fragile Spanne zwischen dem Gegebenen und dem Möglichen. Bier arbeitet mit alltäglichem Material, hinterfragt es: werden die Luftballons vom Laken als gemeinsame Kraft gehalten? Oder sind sie es vielmehr, die überhaupt dem schlaffen Stoff des Lakens nur einen Objektcharakter geben? Die Arbeit rechnet zugleich mit der Ermüdung des Materials: sie wird in dem Maße kollabieren, wie die Luftballons ihre Spannkraft verlieren. In den drei Postkarten setzt Bier Textblöcke, die alle mit dem Thema von Schwer und Leicht verbunden sind. Sie laufen ohne Leerzeichen durch, bilden einen ‚Block-Satz’. Von diesem Block darf der Besucher nehmen, und damit nicht nur einwirken auf das Kunstwerk, sondern sich fragen, was bei ihm mehr wird, wenn es hier weniger wird. GIUSEPPE SPAGNULOs „Cerchio“ bricht die geschlossenen Form auf, ein Thema das Spagnulo seit 1972 bearbeitet. Er versteht es zugleich als ein Aufbrechen von Symbolen und festgelegten Gleichgewichten. Sie sehen, die Sprengung des Rings, des Kreises, hat den Stahl an einem Ende angehoben erst hier erfährt man die spezifische Dichte und Schwere des Materials, erahnt die Kraft die hier einwirken musste. Das menschliche Haar, leicht wie Feder, duftig und von ganz eigener Ungebändigtheit hat MARIELLA MOSLER seit den ausgehenden 90er Jahren immer wieder zu ihrem Material gemacht. Die haarfeinen Strähnen werden zu winzigen Garnsträngen gebündelt und zu Ornamenten der Knüpfkunst, Sternen und kristallinen Strukturen geflochten. Auf einem Stab balanciert hier das Werk wie ein aufgespießter Schmetterling und harrt wie die Botanik Carl Blossfeld’scher Fotografien einer Interpretation, Einordnung, Zuordnung. Nach dem ersten geradezu Graphisch-Zweidimensionalen Eindruck, entpuppt sich jedoch das leichte Material als widerständig: beim Nähertreten sieht man förmlich die Festigkeit und Dauerhaftigkeit des Haars, die winzigen, sperrigen Ausreißer, die diesem Werk eine spannungsreiche Dreidimensionalität vermitteln. Moslers Knüpfarbeit mag hier mit dem Celan’schen Gedicht im Hinterkopf nun die Überleitung sein dafür, dass nicht nur die Ausstellung, sondern nunmehr jeder Besucher sein Netz auswerfen kann offen dafür, wo es beschwert werden mag und wo es schwimmen wird. |
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