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Fr, 27. 06. 03
19:00 Uhr
Raumbesetzung 1
Start / Einzugsfest / "Besetzerbar" und Liegebetrieb mit AMB / DJs: Sirikit, Aquanaut
Do, 03. 07. 03
20:00 Uhr
Raumbesetzung 2
Work in Progress / Blick auf Zwischenzustände / Performance / Swinger-Staffellauf: Übergabe
Do, 10. 07. 03
20:00 Uhr
Raumbesetzung 3
Work in Progress / Blick auf Zwischenzustände / Performance / Swinger-Staffellauf: Übergabe
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8 Künstlerinnen und Künstler aus dem ganzen Bundesgebiet wurden eingeladen, sich in diesem Projekt das bewusst mit traditionellen Ausstellungskonzepten bricht in prozessorientierter Weise die weitläufige Halle anzueignen: konzeptionell, objekthaft, körperbezogen, mit Aktionen oder Installationen auf den Raum reagierend, im Raum (zusammen-)wohnend.
So plant die Künstlergruppe "Swinger" (Wolfgang Stehle, Stefan Wischnewski, Martin Wöhrl) aus München, in einer Art Staffellauf nacheinander an einem Werk zu arbeiten: jeder Künstler arbeitet 1 Woche, übergibt dann an den nächsten, der wiederum 1 Woche lang an dem Begonnenen weiter arbeitet.
In den in viele Richtungen offenen Ausstellungsverlauf sind einige Haltestellen in Form von Präsentationen eingebaut, die einen Blick gewähren auf die Zwischenstadien des Arbeitsprozesses.
Interessierte Besucher können auch zu den Öffnungszeiten der Shedhalle Eindrücke von der Work-in-Progress einfangen.
Weitere Fixpunkte sind das "Einzugsfest" am 27.06. und die Ausstellungseröffnung am 18.07. sowie Rahmenveranstaltungen wie die Matinée "Klangraum Shedhalle" mit dem Ensemble Phorminx oder der Vortrag von Andreas Mayer-Brennenstuhl zum Thema "Kampf um Raum".
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Der Ausstellungstitel “Raumbesetzung” bedeutet zum einen, einen Raum zu besetzen, zum anderen aber auch einen Raum "in Besitz" zu nehmen.
Der Titel dieser zweiten Ausstellung, die hier im ehemaligen Schlachthofareal stattfindet, spielt außerdem mit Aspekten, die mit der SHEDHALLE als alternativer und selbstorganisierter Ausstellungsort verbunden sind.
Ein brachliegendes Schlachthofareal wurde - im Unterschied zu den 80-er Jahren - legal in Besitz genommen und zum Kunstraum umgenutzt. Damit entwickelt sich die Shedhalle zu einem selbstorganisierten Alternativmodell im bestehenden Kulturbetrieb der Stadt. Zum anderen stellt diese Initiative einen wesentlich Beitrag zu stadtplanerischen Themen dar: beispielsweise im Hinblick auf die Rückführung und die nichtkommerzielle - und damit öffentliche - Nutzung von Brachgebieten im Stadtzentrum. Diese Aneignung ungenutzter Areale steht dabei in der Tradition der künstlerischen Institutionskritik seit den 60-er Jahren sowie der politisch motivierten Raum- und Hausbesetzungen, wie sie vor allem in den 80-er Jahren durchgeführt wurden.
Einen dritten Aspekt, nämlich den vielfältigen Zugang zum Thema Raumbesetzung eröffnen die künstlerischen Aneignungsstrategien und Interventionen in der Shedhalle. Die Künstler sind hier mit einem Raum konfrontiert der roh und ungestaltet ihrer Imaginations- und Interventionskraft überlassen wird. Die Grundlage für die Entstehung raumbezogener, spielerisch-prozesshafter und kommunikationsbezogener Arbeiten bot dabei das dreiwöchige Symposium in dem die Künstler “vor ort arbeiteten”, und sich dabei auch austauschen konnten.
Heutzutage einen a-musealen Raum künstlerisch zu besetzen kann nicht nur in der Aneignung und Okkupation mit einem opulenten Materialaufgebot bestehen.
Architektur- und Ortsbezogenheit oder die Strategie des Displacements wie sie in den 60-er, 70-er und 80-erJahren für eine Raumbesetzung noch bestimmend waren, müssen ebenfalls um neue kommunikative und interaktive Aspekte erweitert werden. Natürlich sind die soziale Verzahnung und die Einbindung in gesellschaftliche Prozesse bereits in Projekten vergangener Jahrzehnte enthalten. Im Kommunikationszeitalter sind jedoch Mehrfachcodierungen gefragt und die künstlerische Arbeit wird nach dem bemessen, was sie als diskursives Medium zu leisten vermag.
Welche kommunikativen und partizipativen Qualitäten besitzt eine künstlerische Arbeit? Und welche diskursiven Aufgaben kann sie übernehmen?
Obwohl die acht eingeladenen Künstler zunächst mit eigenen Vorstellungen und Konzepten dem Ausstellungsraum begegneten, wurden die Raumbesetzungen letztendlich “in situ” entwickelt - und während der Aufbauphase entstanden Kooperationen und auch Gemeinschaftsarbeiten, in die Arbeiten der anderen Künstler integriert oder thematisch assoziiert wurden.
So war beispielsweise das Konzept der Münchner Gruppe “Swinger” offen angelegt und basierte auf Teamwork und Kommunikation. Die vieldeutige Bezeichnung “Swinger” verweist dabei mit seinem promiskuitiven Bedeutungsaspekt auf das Spiel im Kunstbetrieb, das in erster Linie der Zusammenarbeit mit verschiedenen Künstlern und dem Aufbau eines eigenen Netzwerks dient. Erst in zweiter Linie verweist die Bezeichnung auf das schon im Musikbereich praktizierte Aneignen, Sampeln und Mixen von unterschiedlichen Materialien und Stilen.
Die “Swinger” fanden sich nach dem Prinzip eines Staffellaufs in der Ausstellungshalle ein. Jeder der Swinger-Künstler blieb eine Woche und arbeitete an den Vorgaben weiter, die der andere hinterlassen hat. (Vgl. Prinzip des cadavres exquis)
Der Münchner Künstler Stefan Wischnewski kam als erster nach Tübingen und fand sich in der Rolle eines Gast-Arbeiters wieder, der sich mit touristischem Blick der Fachwerkromantik der Universitätsstadt nähert. Ein typisch touristisches Requisit, eine Postkarte der Tübinger Altstadt, bildet dann auch die Vorlage für die dreidimensionale Installation in der Shedhalle. (Packsack eingenäht)
Aus mobilen und verfügbaren Materialien, die auch als Sinnbild des künstlerischen Nomaden-Daseins zu lesen sind wie beispielsweise Zeltstangen, Planen, einem Lastenhund mit Nähmaschine, konstruiert Wischnewski eine offene urbane Struktur, die von Wolfgang Stehle weiterentwickelt wurde. Durch den Ausbau von Kieswegen, Gartenbeeten und Brückengeländer mit Do-it-Yourself Bauhaus- und Verpackungsmaterial erhält die Situation eine narrative Verstärkung: aus dem eher funktionalen Arrangement von Wischnewski entwickelt Wolfgang Stehle eine kleinstädtische Vorgartensituation mit Hundehütte, implantierten Zimmerpflanzen und Bouquets aus Bierflaschen (Martin Wöhrl). Der bürgerliche Vorgarten wird damit zur Schnittstelle von öffentlichem und privatem Leben. Der dritte Swinger Martin Wöhrl öffnet die kleinstädtische Situation zu einem öffentlichen Platz.
Dieser etwas höher gelegte Platz (Bandstand) erhielt aus verschieden farbigen Teppichfliesen ein patchworkartigen Bodenmuster. Der für den öffentlichen Raum zu aufwändige Bodenbelag ist daher ebenfalls als Verweis und als “ up date” einer Bodenarbeit des amerikanischen Minimal Künstlers Carl Andre zu lesen. Trotz unterschiedlicher künstlerischer Methoden und Materialvorlieben entstand aus dem Teamwork der “Swinger” eine weitgehend homogene, horizontale Wucherung im Raum, die zugleich auch Sinnbild eines diskursiven Mit- und Gegeneinander ist.
Eine monumentale skulpturale Setzung nahm Tilmann Eberwein mit seiner 7 Meter langen, interaktiven Wippe vor. Die Wippe gehört - neben Lichtmischer, Aussichtsplattformen und Treppeneinbauten zu einem Sortiment an Objekten und Installationsrequisiten, die das Verhalten und die Rezeption der Ausstellungsbesucher lenken und beeinflussen sollen.
Die Wippen-Konstruktion- die wenig mit der aus Kindertagen gemeinsam hat - besteht auf der kürzeren Seite aus einer Bank, auf der 4-5 Personen Platz nehmen können; auf der längeren Seite befindet sich ein Freisitz für eine Person. Damit diese Kunstwippe überhaupt in Betrieb genommen werden kann, bedarf es der Bildung einer Gruppe und der Kommunikation.
Das Angebot die Schwerkraft zu überwinden und einen Blick auf die Halle und aus dem Sheddachfenster werfen zu können, wird allerdings immer nur Einem/Einer gewährt, die/der auch bereit ist, sich zu exponieren und dem Wohlwollen der Gruppe auszuliefern. Das Spielobjekt der Kindheit wird bei Tilmann Eberwein zum Modell oder zum Fallbeispiel mehr oder weniger gelungener zwischenmenschlicher Kommunikation. Kommunikation, Vertrauen und Solidarität sowie die Überschreitung von Furcht sind dabei notwenig, um zur vollen Raum- und Kunsterfahrung zu gelangen.
Höhenluft und eine andere Art der Raumerfahrung bietet Thomas Putze den Besuchern, die das passive Besucherverhalten überwinden und das Angebot annehmen wollen, die Shedhalle auf sportive Weise zu erwandern. Thomas Putze sieht seine künstlerischen Kletteraktion, die er bisher überwiegend im Kunstkontext durchführte als skulpturalen Vorgang.
Diese skulpturale Durchdringung des Raums ist dabei nicht nur dem Künstler vorbehalten, sondern auch als Gemeinschaftsaktion konzipiert. In der Shedhalle startet das “gemeinschaftliche Klettern” mit Schwierigkeitsgrad 6-7 von der Basisstation im hinteren Teil des Ausstellungsraumes. Man steigt an den mit Sicherheitsbohrhaken, Seilen und Karabinern gesicherten Shedhallenwand empor. Der mit Seilen gesicherte Weg führt zu und über die einzelnen Kunststationen im Raum, die zu Gipfelstationen werden und eine andere Perspektive auf die ausgestellten Werke ermöglichen. Neben dem massiven Körpereinsatz der bei dieser Raumdurchdringung auch vom Betrachter gefordert wird, ist für das “gemeinschaftliche Kunstklettern” ebenfalls der kommunikative Faktor, ein identitätsstiftendes Element und die sogenannte “Seilkameradschaft” von Bedeutung.
Um die Bodenarbeit von Andrea Staroske umfassend wahrnehmen zu können, sollte man eigentlich die Perspektive der Aufsicht einnehmen.
Diejenigen, denen die Kletteraktion von Thomas Putze zu mühsam ist, können sich auch auf den Hochsitz von Andreas Mayer-Brennenstuhl begeben, um die aus Erbsen geformte Bodenarbeit von oben betrachten zu können.
Seit einigen Jahren experimentiert Andrea Staroske, die z. Zt. noch an der Kunsthochschule Kiel studiert, mit Naturmaterialien, die sie in räumliche Zusammenhänge implantiert.
Auch die ca. 6 x 4,50 m große Bodenarbeit fügt sich in die vorgegebene Situation ein:, indem ein markanter Ausschnitt aus der Bodenfläche, mit Rinnen und Strukturen, als Arbeitsfeld abgesteckt wurde.
Die flach aneinandergereihten Erbsen bilden jede Bodenunebenheit und jede Rille wie bei einer Bodenabformung nach. So wird die unterschiedliche Textur des groben Industriebodens zwar betont, seine Rauheit wird jedoch durch die chaotische Binnenstruktur der fast monochromen Erbsenfläche retouchiert und gemildert. Die Setzung des hellgrünen Erbsenfeldes ist ein arbeitsintensiver, zeitraubender und ebenfalls auch ein meditativer Vorgang, der sich gegen die Schnelligkeit und Geschwindigkeit des Kommunikationszeitalters sperrt.
Die Dauer, die für die Entstehung der Bodenarbeit notwendig ist, steht im Widerspruch zur Verletzlichkeit und Vergänglichkeit des Werks. Vielleicht könnte man hier einen Vergleich mit den Sandbildern der Indianer wagen, die ebenfalls in einem langwierigen Arbeitsprozess entstanden sind - und die der nächste Windhauch wieder auflöst und zerstört.
Zwei Kreisformen, die Andrea Staroske mit orangefarbigen Erbsen hervorgehoben hat, besitzen Verweisfunktion auf die raumbezogene Arbeit der in Stuttgart lebenden Künstlerin Mirja Wellmann.
Mirja Wellmanns Aneignung des Raumes äußert sich nicht in einem reichhaltigen Objekt und Materialangebot, sondern eher in stillen Arrangements wie den grauen, von Leuchtstoffröhren erhellten Regalbrettern, auf denen Hörprotokolle platziert sind.
Während der Projektphase suchte sich die Künstlerin 5 Stellen im Raum aus, die mit farbiger Kreide auf dem Boden markiert sind - und von denen aus sie den Raum jeweils 7 Stunden lang erlauschte (u.a. auch bei Dunkelheit).
Lärm und Geräusche von außen wurden ebenso gesammelt und protokolliert wie die Eigengeräusche der Shedhalle und die sozialen Geräusche der Kollegen und Besucher.
Für die akustische Raumabnahme entwickelte sie eine quasi-wissenschaftliche Methode, die im Zeitmessen, Protokollieren und Transformieren in Sprache besteht. So werden die Umgebungsgeräusche im 10-Minutentakt (nach der Uhr) in Worten aufzeichnet. Aus der sprachlichen Aneinanderreihung von Gehörtem entstehen Hörbilder von poetischer Qualität, die zugleich auch als Metatext zum abgehörten Raum lesbar sind.
Mit Ausnahme der beiden schrill grünen Helme, die ebenfalls zu einer anderen Raumerfahrung beitragen sollen, ist die Raumerschließung durch Hören ein Versuch, dem Dogma des Visuellen zu entgehen und andere Sinneswahrnehmungen für die Kunstproduktion zu erschließen.
Einer anderen künstlerischen Praxis begegnen wir in den raumgreifenden Situationen von AMB.
Mitte der achziger Jahre begann Andreas Meyer-Brennenstuhl kleine, fast beiläufige Eingriffe an öffentlichen Gebäuden und im sogenannten “öffentlichen Raum” vorzunehmen. Schon bei diesen frühen Pionierprojekten zeichnete sich ab, dass AMB`s interventionistische Praxis immer auch mit einem Verweis auf das Betriebssystem Kunst bzw. mit einem kritischen Kommentar über die Bedingungen der Kunstproduktion verbunden ist.
Kooperationen, kunst-politisch motivierte Raumbesetzungen sowie die situationistische Praxis der Entwendung (Ent-Kontextualisierung) der Infragestellung und Umdeutung bestehender Ordnungen gehören ebenfalls zum künstlerischen Programm von AMB.
Zumeist arbeitet er mit einem großen Materialaufwand, zu dem Messearchitektur, Kioske und andere architekturartigen Gebilde gehören, die ebensogut Teil einer perfekten Werbe- und Propagandamaschinerie sein könnten.
An diese materialintensive Arbeitsweise knüpft die “Besetzt-Bar” an, die fast beiläufig zum Kommunikations-Zentrum der Ausstellung wird. Im dazugehörigen, sonnendeckartigen Chill-Out Areal werden Besuchern und Künstlerkollegen Liegestühle zu 2 EURO angeboten, die jedoch wie die anderen künstlerischen Setzungen von AMB schon “besetzt” sind.
Der Künstler, der aus aktuellem politischen Anlass sein Image vom “Hausbesetzer zum Liegestuhl -Besetzer” wandelt, verweist jedoch mit seiner Dokumentationswand auf seinen persönlichen “Kampf um Raum” hin , bei dem ihm auch der Talkmaster Harald Schmidt zu Hilfe kam. Zu diesem Thema wird AMB nächste Woche am Donnerstag, 24.07. einen erläuternden Vortrag halten.
In seinem Buch “Poetik des Raumes” spricht Gaston Bachelard davon, dass nur die erkämpften Räume auch geliebte Räume sind.
Die Shedhalle als besetzter Raum, ist zugleich erkämpfter Raum, aber auch ein Ort imaginierter Werte, die durch die unterschiedlichen künstlerischen Setzungen jeweils eine neue Auslegung erfahren.
© 2003 Susanne Jakob
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