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16.09 - 8.10.2006 |
SUSANNE HAY Transit - Räume Malerei und Zeichnung |
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AUSSTELLUNGSEROFFNUNG SA / 16.09. / 19 UHR BEGRUSSUNG: JÖRG UMRATH EINFUHRUNG: MARTIN METZGER Rede >> MUSIK: HAY- QUARTETT |
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Unter dem Titel TRANSIT RÄUME zeigt die Shedhalle Tübingen eine umfassende Werkschau der aus Stuttgart stammenden, zuletzt viele Jahre in Paris lebenden Malerin und Zeichnerin Susanne Hay. Die vor zwei Jahren an einem tragischen Unfall jung verstorbene Künstlerin, ist eine dezidierte Vertreterin aktueller realistischer Malerei. Bei der Ausstellung „Dunkel“ war die renommierte und vielfach mit Preisen ausgezeichnete Künstlerin bereits 2003 mit zwei Arbeiten in der Shedhalle vertreten. Bei den sich auf das handwerklich aufwändige Metier der Ölmalerei konzentrierende Arbeiten handelt es sich überwiegend um großformatige Darstellungen von Menschen im Übergang ihrer Lebensreise in Räume, die keine Orientierung mehr bieten. Mit einer sparsamen, an Caravaggio erinnernden Lichtdramaturgie schildert sie Szenen der Brüchigkeit unserer sozialen Sehnsüchte und der Verletzlichkeit menschlichen Körpers. Die dargestellten Menschen ihre Leiber gefrieren zumeist in einem Augenblick bizarrer Verrenkung, die Gesichter gequält, zerrissen scheinen sich in auswegslosen Situationen oder Stimmungen zu befinden und sind fast immer in eine kalte und bedrohliche Dingwelt gezwängt. In vielen Bildnissen ist der Tod gegenwärtig. Dabei reduziert Susanne Hay Formen und Farben konsequent. Das Ergebnis sind Werke von starker Sinnlichkeit, Leidenschaft, Kraft und Brutalität von einer den Betrachter förmlich anspringenden Präsenz. Zur Ausstellungseröffnung spricht Martin Mezger, Esslinger Zeitung, der in das Werk von Susanne Hay einführt ; das Hay Quartett begleitet die Veranstaltung musikalisch. Am Donnerstag, 28.09.06 wird das DUO ‚spielART’ im Rahmen des Programms „Klangraum Shedhalle“ ein zusätzliches musikalisches Highlight setzen. Die Ausstellung in der Shedhalle Tübingen, Schlachthausstr. 13 ist Do 18-20 Uhr, Fr und Sa 14-17 Uhr, So 11-17 Uhr bis zum 8. Oktober 2006 geöffnet. |
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Rede zur Vernissage von Martin Mezger |
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Sehr geehrte Zuhörerinnen und Zuhörer, erlauben Sie mir zunächst eine persönliche Anmerkung, die vielleicht auch einige Missverständnisse vermeidet. Susanne Hay war eine sehr gute Freundin von mir, und diese menschliche Nähe verbietet es mir eigentlich, über ihre Bilder zu reden, als ob nichts geschehen wäre. Wie Sie wahrscheinlich alle wissen, ist Susanne Hay im Sommer 2004 bei einem Unfall ertrunken. Die Umstände ihres Todes und die schmerzliche Lücke, die er ins Leben riss, legen einem das Wort "tragisch" nahe. Und doch ist der Tod Susanne Hays das Gegenteil jener unerbittlichen Notwendigkeit, wie sie der Wortsinn des Tragischen meint. Sie starb durch eine Verkettung von sinnlosen Zufällen mit absurder und unfassbar grausamer Folge. Daran gibt es nichts zu beschönigen und erst recht nichts zu ästhetisieren. Es scheint mir aus zwei Gründen wichtig, darauf hinzuweisen. Zum einen, um prinzipiell Einspruch zu erheben gegen die klischeehafte Identifizierung von Leben, also auch Sterben, und Werk einer Künstlerin. Zum anderen, weil gerade Susanne Hays Werk der Tod keineswegs fremd ist - der Tod im Sinne Heideggers als äußerste Möglichkeit der Existenz verstanden. Deshalb muss man tatsächlich von ihren Bildern reden, als ob nichts geschehen wäre. Nicht weil den Bildern das schlichte Privileg des materiellen Erhaltenseins eignet und nicht weil ein trivialer und sentimentaler Trost die Künstlerin in ihrem Werk überleben lassen will. Sondern weil es die Existenz auch in ihrer äußersten Möglichkeit zu würdigen gilt. Wenn ich es recht sehe, widerfährt damit nicht nur dem Menschen Susanne Hay Gerechtigkeit, der nie den Tod vom Leben abgespalten hat, sondern auch dem eigentümlichen Wesen der Künstlerin, die ekstatisch - aus sich herausgehend - im Bild weiter existiert; weiter, als es der enge Horizont des lebenden oder überlebenden Daseins gewähren könnte. Die Bilder Susanne Hays sind überwiegend in Phasen entstanden, die nicht mit Stilwechseln, sondern mit bestimmten Örtlichkeiten verbunden waren. Sie malte unter anderem in der Pariser Metro und ihren Haltestellenlabyrinthen, in der Pathologie eines Krankenhauses, in einer aufgelassenen Wagenhalle des Gare d'Austerlitz und in Bürogebäuden. Eine weitere Serie zeigt Interieurs, meist Badezimmer, weil sie eine naturgemäße Umgebung des nackten menschlichen Körpers sind, der die Künstlerin als ästhetisches Sujet interessierte. Schließlich schuf sie zahlreiche Porträts, die teilweise als Auftragsarbeiten zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts entstanden. Susanne Hay hat bevorzugt vor Ort und stets mit Modellen gearbeitet. Darin zeigt sich eine gewisse Demut gegenüber dem real Vorhandenen - und zuvorderst gegenüber der Präsenz des menschlichen Körpers. Erfinderische Bild-Capriccios und geistreiche Impromptus waren Susanne Hays Sache nicht. Züge eines sozialen und urbanen Realismus wiederum sind ihren Arbeiten nicht fremd. Aber sie stellen nur einen Nebenaspekt dar. Susanne Hay war weder Gesellschafts- noch Großstadtmalerin. Sie hat in ihren Bildern die bedeutsamen Kontexte des sozialen Gefüges wie des städtischen Ambientes eher als sich ihnen zu fügen. Die Kunst der Susanne Hay ist also gegenständlich, figurativ, wirkt realistisch, zeugt von einer souveränen Beherrschung des malerischen Metiers. Was sie abbildet, erscheint stets identifizierbar, ist problemlos einzuordnen in der so genannten äußeren Wirklichkeit des Sichtbaren. Man sieht, was man sieht. Diese Kunst fordert keine interpretatorischen Klimmzüge, sie mahnt nicht zur Enträtselung, sie braucht keine Erklärung. Das macht es schwierig, Substanzielles über Susanne Hays Bilder zu sagen. Aber im Rahmen einer Vernissage obliegt es mir, dennoch einen Deutungsversuch zu wagen. Bisweilen hat man die Schublade des Fotorealismus geöffnet, um Susanne Hays Werk vorschnell hineinzustecken - ein Missverständnis, gegen das die Künstlerin sich immer instinktiv verwahrt hat. Und das zu Recht: Der Fotorealismus bestätigt den Reproduktionscharakter des Sichtbaren, indem er ihn noch im Unikat fixiert. Umgekehrt geht es Susanne Hay um die Befreiung des Sichtbaren aus den Fängen der Reproduktion, um das Unikat des Moments. Alle ihre Bilder bannen Momenthaftes, genauer: Momente des menschlichen Körpers im Raum. Wenn sie Transiträume malt - Metrostationen, Korridore und Türen, die man eilends passiert, Pausenräume für den schnellen Kaffee vom Automaten - dann scheint die Gewalt der beschleunigt vergehenden Lebenszeit der "Vernichtung der Räume" zu entsprechen, die Paul Virilio als Wesensmerkmal der Moderne beschrieb. Nur wendet Hay ihr Medium, das unökonomische, da zeitraubende Ölbild, gezielt auf jene Momentsituationen an, die dem fotografischen Schnappschuss vor! behalten scheinen. Insofern wird ihr Medium zur Botschaft einer Aufhebung der Zeit. Die Momente der Susanne Hay loten nach Ewigkeit. Das gilt erst recht für jene Arbeiten, wo die Zeit zur Plötzlichkeit komprimiert wird und als einer von unzähligen Alltagsschocks den Menschen ins Gesicht geschrieben steht - sei es beim Blick durch eine Glastür oder beim quasi hypnotisierten Starren in den Blitz eines Fotoautomaten. Der Schock als paradoxer Zustand, als plötzlich einbrechender Stillstand, als Zeit-Infarkt, legt eine Spur zur Botschaft dieser Bilder. Sie äußert sich ebenso im anderen Extrem, dem der Zeitlupe, wenn die langsame Vergänglichkeit drastisch ins Bild gesetzt wird: mit bröckelnden Backsteinwänden, vor sich hin rostenden Metallstreben, verfallenden Menschenkörpern, die tot, traumatisiert oder auch nur schlafend sein mögen. Merkwürdigerweise eignet den Bildern jedoch kein Verweis auf ein Vorher oder Nachher, auf eine erzählerische Kontinuität, die man zwar assoziieren könnte, die aber nicht sichtbar wird. Denn im Unterschied zur herkömmlichen Illustrationsmalerei fixiert Susanne Hay keinen Ausschnitt! einer Handlung, sondern hält am Sichtbaren und das Sichtbare schlechthin fest. Was vergehen muss, gefriert sie in einem künstlerischen Schockzustand ein. Was verfällt, kennt kein Verfallsdatum mehr. Deshalb dulden diese Bilder keine erzählerische Inszenierung, sondern bringen die Bedingung alles Sichtbaren zum Vorschein: den Raum. Vordergründig ist die Absage an die Ästhetik des inszenierten Scheins dem Realismus geschuldet: der nüchternen und wahrhaftigen Darstellung von Menschen, die duschen, ihre Notdurft verrichten, im Hallenbad am Beckenrand sitzen, in der Metro bewegt werden, telefonieren oder verwesen. Menschen tun, was Menschen tun. Nichts anderes. Aber der Verzicht auf symbolische Verweissysteme verweist auf sich selbst: auf das stationäre Da- und So-Sein. Der menschliche Körper ist nicht mehr Subjekt einer oder seiner Geschichte, nicht mehr Objekt einer in der Zeit vergehenden Handlung, sondern ein Raum-Phänomen. Seine Gliedmaßen und Gesten, seine Posen und Physiognomien schreiben sich wie rätselhafte Buchstaben ihrer eigenen Räumlichkeit ein - nicht anders als sich kreuzende Metallstreben, spiegelnde Fenster, halb geöffnete Türen, die ganze Welt der aufdringlich schweigenden Dinglichkeit. Wenn die Zeit nach Hegel die "Furie des Verschwindens" ist, tritt ihr auf den Bildern Susanne Hays die Epiphanie des Raumes dementierend entgegen. Die Erscheinungen können ins Visionäre umschlagen, freilich nicht im Sinn des Symbolismus oder Surrealismus, sondern in jenem eines Akkords von Materie, Licht und der Immaterialität des reinen Raums. Das Spiel der Spiegelungen, Lichtbündel, Verhüllungen und Transparenzen stellt das fasslich Vorhandene in einen transzendentalen Aufschein. Gerade auf den Totenbildern aus der Pathologie scheint der schwarze Raum nur noch von den verwesenden Körpern definiert, als forderten sie ein ewiges, die Zeit transzendierendes Bleiberecht. Die Dynamik der geschichtlich sich entfaltenden Zeit ist laut Hegel dafür verantwortlich, dass der "sinnlichen Gewissheit" "Hören und Sehen" vergeht, schlicht gesprochen: dass nichts so bleibt, wie es scheint. Markierte diese Erfahrung geschichtsphilosophisch den Beginn der Moderne, wirkte sie sich in der Folge auch für die moderne Kunst aus. Ihre Strategien der Abstraktion, der Symbolisierung, der Verrätselung und des Konzeptuellen misstrauen der sinnlichen Gewissheit, deren Gegenstände zum bloßen Material und Anstoß intellektueller Reflexion werden. Der "wesentliche" Schauplatz der Kunst wird unsichtbar. Wenn Susanne Hay dem Sichtbaren den Schauplatz zurückgibt, mag dies subjektiv einem gewissen Traditionalismus entsprechen, in dem es doch nicht aufgeht. Denn ihre Bilder legen einen gewissermaßen postmodernen Protest ein gegen die Diktatur des Historischen, gegen die Ideologie des linearen zeitlichen Fortschreitens und möglicherweise auch des technischen Fortschritts. So könnte es scheinen, wenn die in Metro-Waggons oder Kleinwagen verpackten Menschen sich nicht bewegen, sondern bewegt werden, wenn die an der Strippe hängenden Gesichter nicht telefonieren, sondern gleichsam telefoniert werden. Die Schöpfer werden zum bloßen Anhängsel ihrer Apparaturen, die ihre Funktionszusammenhänge unter sich ausmachen. Doch ist dies nur ein Nebenaspekt. Entscheidender ist: Als Reaktion auf die historisch produzierte und technisch beschleunigte Tilgung des Raums in der Zeit tilgen Susanne Hays Bilder die Zeit im Raum. Das festgehaltene Sichtbare besteht auf immerwährendem Aufschub, das Nichts zwischen Vorher und Nachher dehnt sich zum unendlichen Raum. In ihm, dem Ort des Verweilens, ist die Furie des Verschwindens gebannt und die Vernichtung nichtig. Die Signaturen, welche der Raum zur Erscheinung bringt, sprechen nicht mehr die Sprache der vergehenden Zeit, sondern des Innehaltens. Es mag überraschen, wenn ich hier auf die Barockmeister Jusepe de Ribeira, Luca Giordano oder Caravaggio hinweise - Künstler, die Susanne Hay beeindruckten und beeinflussten. Doch wie in der barocken Märtyrermalerei die äußerste Krisis des im Todeskampf vergehenden Fleisches die Unvergänglichkeit feierte, so rettet Susanne Hay das Sichtbare in die Ewigkeit. Keine Heilsgeschichte und keine Gnade bürgt mehr für solche Erlösung, nur die Kunst gewährt ihr ein Abbild: den heiligen Raum. Martin Mezger |
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